Sonntag, 20. September 2015

Nur ein einziges Wort von dir [Teil 9] Tom


Hallo ihr Lieben!
Langsam nähern wir uns dem Ende zu... Wie hat es euch bisher gefallen? Habt ihr irgendwelche Vermutungen, wie es ausgehen würde? Das liebe ich ja am meisten, wenn mir Leute mitten in einem Buch sagen, wie sie sich das Ende vorstellen :)
Jills Leben ist überschattet von Angst und Einsamkeit. Seit dem Verschwinden ihrer Eltern verfolgt sie eine dunkle Alptraumgestalt, die ihr verbietet über die damaligen Ereignisse zu sprechen. Ihr einziger Vertrauter ist eine alte Weide, der sie in Briefen ihre dunkelsten Geheimnisse verrät. Dies ändert sich allerdings, als Tom, ihr Mitschüler, in ihr Leben tritt. Etwas an Jill fasziniert ihn so sehr, dass er nicht locker lässt, bis er schließlich erfährt, was in jener schicksalshaften Nacht vor so vielen Jahren passiert ist. Und auch Jill fühlt sich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich sicher in seiner Gegenwart, doch der Schattenmann aus ihrer Vergangenheit kennt keine Gnade.






Am Samstagmorgen stand ich schon sehr bald auf. Früher als ich es sonst an irgendeinem anderen Tag getan hätte. Als mich meine Mutter gegen acht Uhr grübelnd in der Küche sitzen fand, merkte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Manchmal glaubte ich, sie hatte ein richtiges Gespür dafür. Komischerweise sprach sie mich nicht darauf an. Vermutlich glaubte sie, meine trübe Stimmung hätte mit meinem Unfall gestern zu tun. Indirekt war das ja sogar richtig. Jill hatte das Regal umgekippt und somit den Unfall verursacht. Und Jill war der Grund, warum ich heute Nacht nicht gut geschlafen hatte. Es war so ein Zwischending aus Halbschlaf und Wachzustand gewesen. Wirklich ausgeruht war ich also nicht.
Nachdem auch mein Vater zu uns gestoßen war, verzog ich mich ins Wohnzimmer. Er schien immer noch wütend zu sein, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er auch auf mich böse war. Er hatte auch allen Grund dazu, schließlich durften wir Schüler überhaupt nicht in diesen Abstellraum. Oder aber er machte sich ganz einfach Sorgen um mich. Es kam ja nicht allzu oft vor, dass jemand ganz plötzlich und ohne jeglichen Grund unter einem Regal voller Chemikalien begraben wurde. Die Schwester hatte wirklich recht, ich hatte verdammtes Glück gehabt, dass nichts Schlimmeres passiert war.

In der Glotze lief zwar nichts Gescheites, doch tat ich so, als würde es mich interessieren, um meinen Eltern aus dem Weg zu gehen. Ich wollte Jill nicht verraten. Nicht für den Regalunfall und auch nicht, dass sie möglicherweise verrückt war. Aber wenn meine Eltern die richtigen Fragen stellten und mich mit merkwürdigen Fakten in die Irre führten, kam es sehr häufig vor, dass ich mich verplapperte. Genau das wollte ich vermeiden.
Glücklicherweise musste mein Vater heute arbeiten und auch meine Mutter schien zu beschäftigt zu sein, um mich auf ihre gemeine Art und Weise auszufragen. In der Küche klapperten Töpfe und Geschirr. Es hörte sich so an, als würde sie die Schränke saubermachen. Das würde sie sicherlich den ganzen Vormittag kosten und ich hatte somit meine Ruhe, um weiter über Jill und ihr Geheimnis nachzudenken.
Ich hoffte inständig, sie würde nochmal zu ihrem Baum zurückkehren und dort meinen Brief finden. Ich hatte mir damit solche Mühe gemacht und betete, dass sie mir glauben würde. Den sogenannten bösen Mann würden wir beide schon besiegen. Vor allem, wenn er bloß eine Wahnvorstellung war.
Noch immer war ich am Nachdenken, als es plötzlich an der Tür klingelte. Aus der Küche drang ein genervtes Stöhnen und kurz darauf öffnete meine Mutter die Haustür. Zuerst dachte ich, es sei der Postbote, doch dann rief meine Mutter mich zu sich. Ich erstarrte vor Schreck oder Erstaunen, beides wahrscheinlich, als Jill vor mir stand. Meine Mutter ließ uns allein und kehrte zurück in die Küche, die anscheinend das reinste Schlachtfeld war, ihrem leisen Fluchen nach zu urteilen.
„Wie bist du an meine Adresse gekommen?“
Meine Frage klang verwunderter, als ich es beabsichtigt hatte. Zur Antwort wedelte Jill mit einer Klassenliste vor meiner Nase herum und schob sich dann an mir vorbei. Wortlos ließ sie sich auf unser Sofa fallen und ignorierte das Chaos aus Colaflaschen und Chipstüten, das ich gestern inszeniert hatte, um meinen Eltern weiß zu machen, dass ich, brav wie ich nun mal war, den ganzen Tag auf der Couch verbracht hatte.

Noch immer schweigend schien sie darauf zu warten, dass ich es ihr gleichtat. Verwundert darüber, dass sie so schnell meinem Angebot, ihr zu helfen, gefolgt war, setzte ich mich neben sie. Einige Minuten vergingen, ohne dass jemand ein Wort sagte, dann zog sie ein dickes Buch aus ihrer Tasche hervor und legte es mir auf den Schoß. Die ganze Sache hier wurde mir wirklich unheimlich. Mit großen Augen blickte sie mich an, als wolle sie mir sagen, dass ich es aufschlagen sollte. Ich tat es, sehr vorsichtig, und war erstaunt, dass ich anstatt von alten Familienfotos, Zeitungsartigel darin eingeklebt waren. Ich begann zu lese und wollte meinen eigenen Augen nicht trauen.
Die Artikel waren schon ziemlich alt, etwa zehn Jahre. Sie alle handelten von Jill, der armen kleinen Jill, die Wanderer ganz verängstigt im Straßengraben gefunden hatten. Alle Journalisten, die in diesem Fall Nachforschungen angestellt hatten, sprachen von mysteriösen Umständen, sogar von Mord. Erschrocken suchte ich Jills Blick, doch diese war viel zu sehr damit beschäftigt, sich hier umzuschauen. Es sah fast so aus, als hätte sie Angst vor irgendetwas. Vielleicht kam der böse Mann ja zurück.
Schnell las ich weiter. Dass die Leichen ihrer Eltern nie gefunden wurden, ließ mich unwillkürlich schaudern. Und auf einmal konnte ich die Puzzlestücke zusammenfügen. Jills Eltern sind vermutlich vor ihren Augen ermordet worden und der böse Mann mit dem Messer war der Täter. Er hatte sie dazu gezwungen, nichts zu sagen, und sie hatte sich das ganze so zu Herzen genommen, dass der böse Mann sie jetzt sogar bis in ihre Träume verfolgt.
„Jill? Willst du, dass ich dir helfe?“
Erschrocken fuhr sie herum und sah mich zunächst verwirrt an, nickte jedoch noch einiger Zeit. Eine Woge der Erleichterung durchströmte mich. Wer weiß, was sie getan hätte, wenn der böse Mann ihr gesagt hätte, dass ich zu viel wusste.
„Sollen wir zur Polizei gehen?“
Wieder nickte sie und wurde nervös. Ihre Blicke huschten durch das ganze Zimmer, doch noch war der böse Mann nicht aufgetaucht, wie mir schien.
„Gut, dann komm mit. Wir werden sie finden, hörst du?“
Sie nickte abermals und begann leicht zu zittern.
Behutsam nahm ich sie in den Arm und strich ihr über das dichte hellbraune Haar. Augenblicklich konnte ich spüren, wie sie sich wieder etwas beruhigte. Ich zog sie hoch und rief meiner Mutter zu, dass ich noch etwas zu erledigen hatte. Dann verschwand ich mit Jill im Arm aus der Tür. Sie wirkte wie in Trance. In diesem Augenblick tat sie mir so unendlich leid, dass ich sie am liebsten ganz festgehalten hätte, doch wir mussten uns beeilen. Auch wenn der böse Mann bloß Einbildung war, konnte er zurückkehren und ich wollte ganz sicher nicht mit einer Verrückten, tat sie mir auch noch so leid, durch die Stadt wandern. 










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