CURSING THE KNIGHTS | Short Story

1


Nie hätte ich gedacht, dass ich es jemals bereuen würde, Cassandra Knight nach Hause zu bringen. Während unserer Ausbildung an der White Oak Academy sind wir so etwas wie Schwestern geworden. Schon von Anfang an sind wir voneinander abhängig gewesen. Sie, weil sie als zufällige Hexe keine große Familie hinter sich stehen hat, und ich, weil ich mich dank meiner älteren Brüder immer nach einer Gleichgesinnten, einer Schwester, gesehnt habe.

Wie das Schicksal es so wollte, sind wir beide beinahe zeitgleich auf White Oak angekommen und haben uns ein Zimmer teilen müssen. Zuerst bin ich ihr gegenüber skeptisch gewesen. Zufällige sind oftmals nur schwachmagisch begabt und nicht gerade klug, um es freundlich auszudrücken. Aber Cassie ... Cassie ist vollkommen anders. Ich habe noch nie eine Hexe wie sie getroffen. So voller Leben und ohne Scheu, sich gegen unser männliches Gegenstück zu behaupten.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem sie nach White Oak gekommen ist. Voller Energie und Lebenskraft, so ganz anders als ich. Und vielleicht haben wir uns deshalb so gut verstanden, weil wir unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber das ist ein Fehler gewesen. Nie hätte ich ihr vertrauen sollen, nie hätte ich sie nach Hause bringen sollen, aber am Ende wird sie diejenige sein, die es bereut, mir nach Manor on Water Hill gefolgt zu sein.

   »O? O, hörst du mich?«, reißt mich Cassies Stimme aus meinen Gedanken. Wir sitzen in meinem Salon und blicken aus dem Fenster. Es regnet, mal wieder, also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Stunden bis zum Ball im Haus zu verbringen.
   »Natürlich ...«, murmle ich und wende mich von den mit Wassertropfen bespritzten Scheiben ab. »Was ist los?«
Cassie tänzelt leichtfüßig durchs Zimmer, ein wunderschönes weißes Kleid in den Händen. Mutters Kleid. Wo hat sie das her?
   »Lady Waterhouse hat uns eine Auswahl an Kleider für den Abend gebracht. Ist das nicht wundervoll?«  fragt sie und stürzt auf einen ganzen Haufen aus bunten Stoffen zu, die jemand über einen der Sessel gelegt hat.
   »Sehr ...«, hauche ich und versuche, nicht zu sehr an den heutigen Abend, nicht an all die Leute der Nachtwelt zu denken, die anwesend sein werden, um mir und Cassie dabei zuzusehen, wie wir endlich die die Gesellschaft eingeführt werden.
   »Ein bisschen mehr Freunde hätte ich schon erwartet, O. Du hast doch so von den Bällen im Manor geschwärmt«, meint Cassie und legt Mutters Kleid auf den Stapel, um sich neben mich zu setzen.
   »Ich weiß, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Was ist, wenn ich etwas falsch mache?« Ich schlucke und denke an letzte Nacht zurück. Ein Alptraum nach dem anderen hat mich heimgesucht und mir bis ins kleinste Detail gezeigt, wie ich mich vor der gesamten Nachtwelt blamieren könnte.
   »Ach, O, mach dir deswegen keine Gedanken. Sie werden dich lieben! Du bist schließlich die Tochter des Hexenkönigs«, ruft Cassie, was mich zusammenzucken lässt. Nach den beiden Jahren, die wir miteinander verbracht haben, bin ich noch immer nicht daran gewöhnt, wie impulsiv sie manchmal ist.
   »Ja und genau deswegen wird alles schief gehen«, murmle ich und kneife fest die Augen zusammen, um nicht an die verdammten Alpträume denken zu müssen.

Bevor Cassie noch irgendetwas erwidern kann, klopft es an der Tür. Als ich sie mit meiner Magie öffne, weiß ich längst, wen ich draußen im Gang vorfinden werde.
   »Carson.« Ich kann nicht verhindern, dass ich leicht aufseufze, so wie schon während unserer Zeit auf White Oak, wo wir ihm zum ersten Mal begegnet sind.
Neben mir stößt Cassie ein leises Kichern aus, ehe sie sich erhebt, um unserem Besucher den nötigen Respekt zu zollen. Dass wir gute Freundinnen, ja fast schon Schwestern sind, ändert nichts an ihrem Rang am Hofe. Sie ist und bleibt eine Zufällige, es sei denn, sie heiratet jemanden von höherem Rang.
   »Meine Damen, ich soll ausrichten lassen, dass es bald Zeit wird«, verkündet Carson und verbeugt sich tief. Seinen Blick hält er auf mich gerichtet, aber mir entgeht nicht, wie er kurz zu Cassie huscht, ehe er wieder auf mir landet. Allein das nährt die Eifersucht in mir, obwohl ich weiß, dass es nie mehr als Freundschaft zwischen den beiden geben wird. Niemals wird Cassie ein Mitglied der großen Familien heiraten, schon gar nicht jemanden aus Carsons Familie. Auch wenn mein Vater gerade der Hexenkönig ist, haben die Ellis' noch immer viel zu sagen. Sie sind es schließlich gewesen, die die selbstsüchtige Königin Isobel Gowdie gestürzt haben, um der Nachtwelt zu neuem Glanz zu verhelfen.
   »Ich danke Ihnen, Mr Ellis. Wir werden uns beeilen«, entgegne ich, als ich mich wieder einigermaßen gefasst habe. Meine Stimme klingt noch etwas wackelig, aber keiner der beiden scheint zu vermuten, warum.
   »Das werde ich Ihrem Vater ausrichten«, verspricht Carson mit einem Augenzwinkern und dreht sich zur Tür um. Kurz bevor er sie öffnet, wendet er sich uns noch einmal zu. »Keine Sorge, ihr zwei werdet den Abend mit Bravour meistern.«
Mein Herz beginnt zu rasen, als er alle Förmlichkeiten des Hofes fallen lässt und uns eines seiner verschmitzten Lächeln schenkt, die ich seit unserer ersten Begegnung in Codwyll, dem Dorfe unweit unserer jeweiligen Schulen, so sehr liebe. Nur wenn er sich absolut sicher ist, dass wir allein sind, kehrt dieser Teil, der alte Crason, zurück.
   »Wenn das eine kann, dann Ophelia«, stimmt Cassie ihm zu und tätschelt mir die Schulter.
   »Ganz genau.« Carson zwinkert mir zu und verschwindet keine Sekunde später aus der Tür. Ist wohl auch besser so, sonst hätte er sich sicher über meine geröteten Wangen und Cassies Gekichere lustig gemacht. Ich will nicht, dass er uns für dieselben albernen Mädchen hält, die er vor knapp zwei Jahren im Wald von Codwyll kennengelernt hat. Zumindest mich nicht.



2


   »Du strahlst regelrecht, meine Kleine«, begrüßt mich Vater, als Cassie und ich die Treppen ins Foyer des Manor hinuntersteigen. Mein Herz schlägt mit jedem Schritt schneller, den wir uns dem Ballsaal nähern, der uns jenseits der großen Flügeltüren erwartet. Schon jetzt dringt Musik zu uns. Musik, die gleich stoppen wird, sobald wir den Saal betreten.
   »Danke, Vater«, hauche ich, weil ich das Gefühl habe, kaum Luft zu bekommen. Mutter hat meine Corsage heute besonders eng geschnürt. »Wir müssen doch deine Reize betonen. Vielleicht findest du heute schon einen geeigneten Mann«, hat sie gesagt und noch einmal fester zugezogen, sodass mir kurz schwarz vor Augen geworden ist.
Cassie dagegen hat sie in Ruhe gelassen. »Du bist eine natürliche Schönheit, meine Liebe. Ganz sicher wirst den jungen Männern den Kopf verdrehen, ganz gleich, was du trägst.«
Und da ist sie wieder: die Eifersucht. Ich wünschte Mutter hätte mich auf nur einmal in meinem Leben eine Schönheit genannt und mir versichert, dass alles gut werden wird. Aber das hat sie nie und wird es wohl auch nie.
   »Zu viel Lob lässt dich faul werden, Kind«, sagt sie immer, wenn ich sie darauf anspreche. Es hat keinen Zweck, mit ihr darüber zu diskutieren.
   »Nun denn ...«, murmelt Vater und setzt sich in Bewegung, gerade als Cassie und ich das Foyer erreichen. Sofort geht ein Ruck durch die Entourage, die mit meinen Eltern auf uns gewartet hat. Meine beiden Brüder Joseph und Felix reihen sich direkt hinter Vater ein, anschließend seine beiden Berater und schließlich Mutter. Ich folge ihr, wobei ich Cassies Schritte hinter mir höre. Kurz werfe ich einen Blick zurück, betrachte sie in ihrem Kleid, Mutters Kleid, das das Blau ihrer Augen zum Strahlen bringt. Sie sieht aus wie eine Braut auf dem Weg zum Altar, denke ich. So, wie ich in meinen Träumen aussehe, nur dass mich jenseits der Türen keine Vertreter der Nachtwelt erwarten, sondern Carson und mein Vater, um unseren Bund offiziell zu machen.

   »Wenn ich bitten darf, Miss Knight«, ertönt Carsons Stimme hinter uns.
Cassie und ich haben gerade die Runde durch den Saal gedreht, um allen Anwesenden für ihr Kommen zu danken, wobei sie natürlich nur wegen mir gekommen sind. Für Zufällige gibt man keinen Ball zur Einführung in die Gesellschaft der Nachtwelt.
   »Aber natürlich, Mr Ellis«, entgegnet Cassie voller Entzücken und schon sind die beiden in Richtung Tanzfläche verschwunden. Und das, obwohl Cassie mir versprochen hat, mich nicht allein zu lassen. Und eigentlich sollte sie doch wissen, dass Carson mir gehört. Wie oft haben wir darüber gesprochen? Fast jeden Tag auf White Oak. Sie weiß, wie ich fühle und trotzdem wirbelt sie nun mit ihm inmitten der anderen Gäste auf der Tanzfläche umher.
Ich kann den Anblick nicht ertragen. Ihrer beider Lachen schallt zu mir hinüber, übertönt die Musik und brennt sich in mein Herz. Wieder wird mir schwarz vor Augen, ich bekomme kaum noch Luft, während mein Herz so schnell schlägt, als wäre ich gerade den gesamten Water Hill hochgerannt. Noch bevor mich ein weiterer Gast in ein Gespräch verwickeln kann, stürme ich hinaus in die Nacht und sauge tief die kalte Luft ein, die vom Regen am Nachmittag ganz rein schmeckt.
Eine ganze Weile bleibe ich dort auf der Terrasse, die sich vom Ballsaal aus den Hang hinunter ausbreitet. Im Sommer nutzen wir sie oft, um den Saal zu erweitern. Meist haben wir zu dieser Zeit mehr Gäste im Haus, weshalb wir den zusätzlichen Platz gut gebrauchen können. Ich entferne mich ein Stück vom Haupthaus und wende mich dem Gewächshaus zu, das dem Ballsaal und der anschließenden Terrasse genau gegenüber liegt. Ein breiter Irrgarten aus Buchsbäumen und Rosensträuchern erstreckt sich dazwischen, in dem sich oft das ein oder andere Päarchen verliert. Auch heute liegen verdächtige Geräusche in der Luft, mischen sich mit den Klängen des Orchesters, die der Wind vom Haupthaus herüberträgt und schaffen so eine ganz eigene Form der Musik.
Ein lautes Lachen ganz in meiner Nähe lässt mich zusammenzucken. Ein Lachen, das mir sehr vertraut ist, schließlich habe ich es die letzten beiden Jahre lang unzählige Male gehört. Cassie. Und so wie es sich anhört, ist sie nicht allein. Ihren federnden Schritte folgen schwerere, die eines Mannes. Und wieder ein Lachen, diesmal aber nicht Cassies, sondern Carsons.




3



Schnell ducke ich mich hinter eine der großen Blumenvasen, die Mutter trotz des schlechten Wetters aufstellen lässt, und halte in der Dunkelheit Ausschau nach den beiden. Ich entdecke sie auf dem schmalen Kiesweg, der von einer Seite des Hauses hinunter in den Irrgarten führt. Ihre Hände sind fest miteinander verschränkt und in ihrem Inneren tobt die Leidenschaft und das Verlangen. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass Carson das für mich empfindet, wenn wir uns einmal allein begegnet sind? Aber da ist nie etwas anderes als Freundschaft zwischen uns gewesen. Zumindest von seiner Seite aus.

Bevor ich weiß, was ich tue, setzen sich meine Beine in Bewegung, eilen durch die Nacht und tragen mich immer näher auf den Irrgarten zu. Mutter hat mir von klein auf eingebläut niemals dorthin zu gehen. »Das schickt sich nicht, Kind. Was sollen denn die Leute denken?«, hat sie immer geantwortet, wenn ich sie nach einem Grund für dieses Verbot gefragt habe. Mittlerweile weiß ich, was dieses es ist. Ich weiß, was es mit dem Ruf einer jungen Frau anstellen kann, und habe ihren Rat immer befolgt. Nur heute nicht. Weil ich es mit eigenen Augen sehen muss. Ich muss sehen, was Cassie und Carson vorhaben. Dass es kein harmloser Spaziergang durch das Labyrinth werden wird, weiß ich längst. Glauben kann ich es allerdings nicht. Hat sie denn keinen Funken Dankbarkeit in sich nach allem, was ich für sie, eine einfach Zufällige, getan habe? Wie kann sie mir so in den Rücken fallen? Ohne mich würde sich Carson doch kein bisschen für sie interessieren. Oder doch?
   »Du bist eine natürliche Schönheit«, hallt es wieder und wieder durch meinen Kopf. »Du wirst ganz sicher den jungen Männern den Kopf verdrehen.«
Mutters Worte sind wie Dolchstöße in meinem Herz. Jedes einzelne lässt mich ein bisschen mehr sterben, bis ich es kaum noch in meiner Haut aushalte.
Die Magie in meinem Inneren beginnt zu brodeln, während mein Herz mit jedem Schlag das Gift meiner Eifersucht durch meinen Körper pumpt, bis es sich anfühlt, als stünde alles in mir in Flammen.
   »Oh, Cassie ...«, höre ich Carson murmeln, gefolgt von den üblichen Geräuschen, die man um diese Uhrzeit im Irrgarten erwarten kann. Ich erröte und zügle meine Schritte. Ich will nicht, dass mich die beiden sehen. Sicher wird ihnen irgendeine Ausrede einfallen, um sich mit mir gut zu stellen. Aber nicht heute, nicht nach dem, was ich im nächsten Augenblick zu sehen bekomme.
Cassies Mieder, das ohnehin schon recht locker gesessen hat, ist vollkommen geöffnet, doch verbirgt Carsons Kopf den Blick auf ihre Brüste. Das leise Stöhnen, das von den beiden ausgeht, treibt mir die Galle in den Mund. Die ganze Zeit habe ich gehofft, dass ich es mir bloß einbilde, dass mir Cassie nie so in den Rücken fallen würde. Der Gegenbeweis steht nun allerdings gegen Buchsbäume und von Rosen umrahmt vor mir, sodass ich es nicht länger leugnen kann. Carson ist Cassies natürlichen Reizen verfallen und zerstört damit nicht nur das, was ich seit unserer ersten Begegnung für ihn empfinde, sondern auch meine Freundschaft mit Cassie. Aber es ist nicht seine Schuld, nein, wenn dann ist es ihre. Cassie kann den jungen Männern mit einem einzigen Augenaufschlag den Kopf verdrehen. Es ist wirklich ein Wunder, dass Carson ihr so lange hat widerstehen können, aber irgendwann verliert auch der stärkste seiner Art die Beherrschung.



4

Ich kann ihnen nicht länger zusehen, würde diesen Anblick am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen, aber mir will dafür nicht der richtige Zauber einfallen. Und überhaupt wäre es nicht gerecht, das zu vergessen. Cassie hat mich betrogen, nie werde ich ihr verzeihen können, und vergessen schon gleich gar nicht.
Statt eines Gedächtnisschwundzaubers kommt mir ein anderer in den Sinn. Ein Zauber, den ich aus einem von Vaters verbotenen Büchern habe. Ein Fluch, der mich Rache nehmen lassen wird für das, was mir Cassie genommen hat.
Ich stürme aus dem Irrgarten zurück zum Haupthaus. Meine Lungen schreien nach Luft und meine Sicht verschwimmt vor meinen Augen, während ich erneut gegen eine Ohnmacht ankämpfe. Einzig meine Magie hält mich aufrecht, wo ich sonst ganz sicher in Tränen in mich zusammengebrochen wäre. Dafür habe ich später noch Zeit, sollte mein Vorhaben nicht funktionieren. Aber das wird es und dann wird es Cassie sein, die mit Tränen in den Augen zusammenbrechen wird.
Statt zum Ball zurückzukehren, wo man uns sicher bald vermissen wird, betrete ich das Haus über eine Seitentür und steige die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Hinter einem Bücherregal in meinem Salon verbirgt sich mein persönliches Refugium, wo sich alles finden wird, was ich für diesen Zauber benötige. Cassandra Knight wird es heute Nacht und den Rest ihres erbärmlichen Lebens bereuen, mich hintergangen zu haben!

Ich sammle schwarze und rote Kerzen zusammen, reihe sie in einem Kreis um mich herum auf, ehe ich Vaters verbotenes Buch hervorziehe. Normalerweise behält er es ist einer verschlossenen Truhe, damit niemand die mächtigen Zauber darin zu Gesicht bekommt. Er will diese Macht mit niemandem teilen, auch nicht mit seinen Kindern, aber ich habe schon vor einiger Zeit einen Weg gefunden, um mir dieses geheime Wissen anzueignen. Und keine Minute zu spät, wie es scheint.
»Wenn dir jemand etwas Schlechtes tut, meine Kleine, schlage mit ihren eigenen Waffen zurück«, hat mir Vater schon immer geraten. Schon damals, als ich noch nicht über Magie verfügt habe, hat er mir erklärt, wie wichtig es ist, vor seinen Feinden und Freunden keine Schwäche zu zeigen. Wenn ich Cassie ungeschoren davonkommen lasse, wird sie es wieder tun. Und wieder, und wieder. Ich muss sie aufhalten, bevor sie mein Herz endgültig in hunderte Stücke zerreißt.
Ich mag nicht mit Cassies Waffen zurückschlagen können. Noch nie hat mein Aussehen denselben Effekt auf unsere männlichen Besucher gehabt wie Cassies, aber in einem bin ich ihr überlegen: Magie.
Und so schlage ich Vaters Buch auf der richtigen Seite auf, sende meine Zauberkraft aus, um die Kerzen zu entzünden und mein Werk zu beginnen. Um diese Art von Zauber wirken zu können, benötigt man ein Objekt, das mit dem Opfer in Verbindung steht. Ich reiße mir den Ring vom Finger, den mir Cassie zu meinem letzten Geburtstag geschenkt habe und platziere ihn auf der Seite des Buches, bevor ich meinen Fluch spreche. Ich mache mich frei von allem, von all den unbedeutenden Gedanken, bis nur noch eine einzige Emotion in meinem Inneren tobt. Meine Wut.
   »Niemals wirst du sesshaft werden, springst von Bett zu Bett. Ein Leben voller Schande wünsche ich dir und den deinen, bis in alle Ewigkeit«, flüstere ich und lasse meine Magie in den Ring fließen. Wieder und wieder sage ich meine Worte auf, werde lauter dabei, bis ich beim dreizehnten Mal so laut schreie, dass man mich sicher auch auf dem Gang vor meinen Gemächern hören kann. Wie gut, dass alle Anwesenden mit den Feierlichkeiten beschäftigt sind.
Draußen grollt es leise, während das Leuchten der Blitze durch die geöffnete Geheimtür fallen und mein Refugium in flackerndes Licht hüllen. Die Kerzenflammen recken sich in die Höhe, tanzen wie die vielen Gäste unten im Ballsaal, ehe sie mit einem Schlag erlöschen, als ich mir den Ring wieder an den Finger stecke.
Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als mir klar wird, was ich getan habe. Sie hat mein Leben ruiniert, also ruiniere ich ihres. Und das ihrer Nachkommen.




5


In einer ähnlich stürmischen Nacht, zwölf Generationen später, schnappt ein Neugeborgenes nach Luft, ehe es zum ersten Mal zu Schreien beginnt. Die Mutter fällt erschöpft in die Kissen zurück und wartet, dass man ihr das Mädchen bringt. Noch bevor menschliche Ärzte das Geschlecht des Babys haben feststellen können, hat Mara Knight bereits gewusst, dass es ein Mädchen sein wird.
So wie all die anderen Kinder der Familie Knight, die seit jener schicksalshaften Nacht im Manor on Water Hill das Licht der Welt erblickt haben.
   »Gratulation, Miss Knight«, sagt einer der Ärzte und legt ihr das Bündel in die von Schweiß überzogenen Arme. »Ein gesundes Mädchen.«
Mara schluckt und erblickt zum ersten Mal das Gesicht ihrer Tochter. Sie hat dieselben blauen Augen, denselben blonden Haarflaum wie sie, als sie vor etwas mehr als neunzehn Jahren zur Welt gekommen ist.
   »Sollen wir den Kindsvater für Sie benachrichtigen?«, fragt eine der Schwestern mit einem breiten Lächeln. Mara ist alles andere als zum Lächeln zu mute.
   »Es gibt keinen«, entgegnet sie kalt, ohne den Blick von ihrer Tochter zu lösen.
   »Aber das ist doch Unsinn!«, meint die Schwester und setzt erneut an, den Namen aus Mara herauszupressen, so wie sie vor wenigen Minuten das Kind aus ihr herausgepresst hat.
   »Nein«, erwidert Mara standhaft und blickt der Schwester direkt ins Gesicht.
   »Vielleicht später dann ...«, murmelt sie leise und macht sich eine Notiz auf ihrem Klemmbrett, ehe sie das Zimmer verlässt.
   »Sie können rauskommen, Professor«, sagt Mara leise und wendet sich der Wand mit dem kleinen Fenster zu, dessen Vorhänge vorgezogen sind und die Nacht aussperren. Ein Lachen erklingt, ehe Professor Gowdie aus den Schatten tritt und auf ihr Krankenbett zukommt.
   »Sie ist wunderschön«, sagt die Schulleiterin von White Oak und lässt sich neben Mara aufs Bett sinken, um das Mädchen in ihren Armen besser zu betrachten. Sie hat aufgehört zu schreien und starrt die beiden Frauen nun aus ihren großen blauen Augen an. »Ganz die Mama.«
   Wie recht sie damit hat, denkt Mara, die um den Fluch ihrer Familie weiß. Seit zwölf Generationen haben die Frauen der Familie Knight nur Mädchen zur Welt gebracht, angefangen bei Cassandra Knight, der ersten Hexe ihrer Familie, bis hin zu Mara. Wieso sollten sich das bei der dreizehnten Generation ändern?
   »Hast du dich für einen Namen entschieden, Liebes?«, fragt die Schulleiterin und fährt dem Kind vorsichtig über die Wange.
   »Lucinda«, murmelt Mara und eine Erinnerung blitzt vor ihrem inneren Auge auf. Das Foto, das sie in einem Album ihrer Mutter gefunden hat, hat eine ältere Frau gezeigt, die kaum anders als Mara selbst ausgesehen hat. Sie hat gelächelt, wobei sie dank des Fluchs ganz sicher kein leichtes Leben geführt hat.
   »Ah, wie deine Urgroßmutter ...«, murmelt Professor Gowdie und lächelt, als Lucinda in Maras Armen leise niest. »Sehr passend.«
Mara zuckt bloß mit den Schultern, weil sie noch immer nicht weiß, was sie mit diesem Kind anfangen soll. Ihr Leben lang hat sie vom Fluch gewusst und trotzdem nie gedacht, dass er auch auf sie eintreffen würde. Für sie ist er bloß eine alberne Geschichte gewesen, bis er vor neun Monaten wahr geworden ist.
   »Und du bist dir sicher, dass wir ihren Vater nicht benachrichtigen sollen?«, fragt Professor Gowdie und wendet sich nun ihrer Schülerin zu. »Er könnte dir sicher helfen. Du musst mir nur seinen Namen sagen, ich regele alles für dich.«
Dieses Angebot hat Professor Gowdie schon öfter gemacht und wie immer lehnt Mara ab. Niemand darf erfahren, wer Lucindas Vater ist, nicht einmal er selbst.
   »Es ist zu gefährlich«, ist alles, was sie herausbringt, ehe die Müdigkeit sie zu übermannen droht. Nie hätte sie gedacht, dass diese Geburt so anstrengend werden könnte. Lucinda hat sich wirklich Zeit gelassen und kommt zumindest in dieser Hinsicht nach ihrem Vater.
   Ach, Rick, wenn du nur wüsstest ..., denkt Mara und überreicht Professor Gowdie das kleine Bündel in ihren Armen. Sie ist froh, jemanden an ihrer Seite zu haben. Ihre eigene Mutter hat es nicht rechtzeitig geschafft, aber zumindest auf die Schulleiterin ist Verlass.
   »Keine Sorge, ich passe auf sie auf, währen du dich ausruhst«, verspricht Professor Gowdie und lässt sie auf den Sessel nieder, der in einer Ecke des Krankenhauszimmers steht. Mara schüttelt müde den Kopf, schließt die Augen und ergibt sich ihrer Erschöpfung, während Professor Gowdie die leise gurgelnde Lucinda in ihren Armen wiegt.
Eine neue Generation gefangen in diesem uralten Fluch.


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