Sonntag, 20. Dezember 2015

Geisterstunde [Teil 10] Kapitel 9


Hallo ihr Lieben!
Noch vier Tage, dann ist es so weit! Ich bin mittlerweile in Würzburg angekommen und hab sogar den Weg gesehen, der möglicherweise zum Anwesen der Altenbergs führt. Da liegt eine ganze Menge Schnee, sodass nichtmal Eleonoras Geländewagen runter kommen würde...
In Ams Geschichte ist es ja noch nicht einmal richtig Herbst, aber trotzdem muss sie manchmal frösteln, kein Wunder, wenn man von einem Geist verfolgt wird. Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel, das auch hier zu finden ist...





Nach der Scheidung ihrer Eltern zieht Amalia Altenberg mit ihrer Mutter in deren Geburtsort Würzburg. Im Haus ihrer Großmutter scheint es lange gehütete Geheimnisse zu geben. Flüsternde Stimmen halten Am nachts wach und verfolgen sie sogar in ihren Träumen. Als sie bei einer Übernachtungsparty mit ihren neuen Freundinnen die verschlossene Tür im Hausgang öffnet, stößt sie auf eine völlig andere Welt. Bei einer harmlosen Partie mit dem Hexenbrett rufen die vier Freundinnen versehentlich einen rachsüchtigen Geist, der offenbar noch eine Rechnung mit der Familie Altenberg zu begleichen hat. Kann Amalia mit ihrem begrenzten Wissen über Magie den Geist vertreiben? Und welche Geheimnisse hütet ihre Großmutter noch?








Den restlichen Samstag und den gesamten Sonntag über hatte sich Am in ihrem Zimmer versteckt und die Kellertür so gut gemieden, wie sie nur konnte. Die ganze Zeit über hatte sie versucht, sich mit Büchern oder Filmen abzulenken, doch irgendwie war sie noch immer mit ihren Gedanken bei diesen merkwürdigen Räumen unter der Erde. Ob es daran lag, dass Eleonora es ihr verboten hatte? Oder ob es wegen den vielen Geheimnissen war, von denen Am nun in gewisser Weise wusste, aber nicht was sie zu bedeuten hatten? Sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Vermutlich traf beides in gewisser Weise zu.
Marcella hatte versucht mit ihr zu reden, doch Amalia wollte sie da nicht mit hineinziehen. Sie wusste, dass ihre Mutter nur an das glaubte, was sie sehen, berühren oder erklären konnte. Dass diese geheimen Räumlichkeiten mit etwas Übernatürlichem in Verbindung standen, wollte Am ihr lieber nicht sagen. Marcella hätte es sicher nicht verstanden. Das mit dem Geist hatte sie schließlich auch für einen albernen Scherz gehalten.
Kopfschüttelnd ließ sich Am auf ihr Bett fallen und rollte sich zusammen. Es war schon spät und sie hätte eigentlich schon schlafen müssen. Dennoch ging ihr die Keller-Geschichte einfach nicht aus dem Kopf. Es waren doch nur harmlose Räume mit irgendwelchem Plunder darin. Warum also wollte Eleonora, dass sie sich von der Tür und allem, was dahinter lag, fernhielt?
So oft Am sich auch diese Frage gestellt hatte, sie kam einfach auf keine logische Antwort. Es konnte tausende Gründe haben, einer unwahrscheinlicher als der andere.

Mit einem tiefen Seufzen schaltete sie ihre kleine Nachttischlampe aus und versuchte zu schlafen. Nach endlos scheinendem Hin- und Herwälzen, schaffte sie es endlich und glitt in einen tranceartigen Zustand. Seit sie den Geist beschworen hatten, konnte sie nicht mehr ruhig liegen. Das wirkte sich natürlich auch auf ihren Schlaf aus.
Trotz alledem, träumte sie in dieser Nacht und, wie konnte es anders sein, nahmen die Tür und vor allem das dahinter liegende Arbeitszimmer eine große Rolle in ihrem Traum ein.
Am sah sich selbst, wie sie die Treppen hinunter in den Gang stieg und die Hand nach dem verbotenen Knauf ausstreckte. Wie von selbst drehte sich dieser und mit einem leisen Knarren sprang die Türe auf.
Ganz leise stieg sie die Treppen hinab und begann unten in den Büchern zu blättern. Zu ihrem eigenen Erstaunen waren die Seiten nicht mehr leer, sondern angefüllt mit schwarzen Buchstaben und vielen Zeichnungen.
Als sie aufwachte, konnte sie sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern. Bloß das merkwürdige Zeichen auf ihrem linken Unterarm hatte sich in ihren Kopf gebrannt. Es sah aus, wie eine Tätowierung, doch die Linien schienen zu pulsieren und leuchteten förmlich.

Amalia wischte sich über die Augen, als könne sie so diese Bilder vertreiben und griff dann nach ihrer Teetasse. Marcella hatte irgendetwas „rein pflanzliches“ zusammengemischt, damit Am besser schlafen konnte. Die Tasse war leer.
Seufzend stand sie auf und tapste hinunter in die Küche. Stand da nicht irgendwo die Kanne mit dem Tee? In der Dunkelheit lief sie gegen den Küchenschrank und stieß sich dabei den Fuß. Mit einem unterdrückten Aufschrei suchte sie nach dem Lichtschalter, den sie nach unzähligen Minuten fand. Das grelle Licht brannte in ihren Augen und Am musste blinzeln, um sich daran zu gewöhnen.
Als sie dann endlich die Teekanne fand und sich etwas von der erkalteten Flüssigkeit in ihre Tasse füllen wollte, schlich sich wieder dieses Wispern in ihren Kopf. Hunderte Stimmen riefen ihren Namen, forderten sie auf, in den Keller zu gehen.
Vorsichtig spähte sie in den Gang, fast glaubte sie, der Geist würde ihr einen Streich spielen. Ein schmaler Streifen Licht, das durch die Küchentür fiel, erhellte den Flur ein wenig und führte geradewegs auf die verbotene Tür zu.
Ganz plötzlich drehte sich der Knauf und die Tür sprang, wie in ihrem Traum, mit einem leisen Knarzen auf.
Erschrocken ließ sie die Tasse fallen. Sie landete glücklicherweise auf der Anrichte und ging nicht auf den kalten Küchenfliesen zu Bruch. Das Wispern wurde lauter, forderte sie regelrecht auf, alles stehen und liegen zu lassen, um hinunter in den Keller zu gehen.
Und tatsächlich bewegten sich Amalias Füße, ohne dass sie es wollte, langsam vorwärts. Sie versuchte alles, um nicht dort hinunter zu müssen, hielt sich krampfhaft am Türrahmen fest, doch es half nichts. Die unsichtbare Macht, die ihre Füße kontrollierte, war zu stark für sie.
Eigentlich hatte sie gedacht, ihr Herz würde wieder anfangen schneller zu schlagen vor lauter Panik, was sie dort unten erwarten könnte, doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil, tief in ihrem Inneren verspürte sie eine innige Freude, die Stiegen hinab zu steigen. Am erkannte sich nicht wieder.
Einerseits war ihr bewusst, dass sie das nicht tun durfte. Andererseits gefiel es ihr dort unten so sehr. Es war, als wäre sie endlich daheim angekommen, als gehörte sie einfach dorthin.
Das Wispern hatte aufgehört, als sie die letzte Stufe bewältigte. Auch die fremde Macht, die sich ihrer Füße bemächtigt hatte, war verschwunden. Nur die Tür, die hinter ihr ins Schloss fiel, erinnerte für einen kurzen Moment daran, dass es nicht mit rechten Dingen zuging.

Für ein paar Sekunden stand sie in grenzenloser Dunkelheit, ehe sich das Licht anschaltete. Diesmal war es nicht grell und unangenehm. Es wirkte gedimmt, als wäre das ganze Zimmer mit Kerzen erleuchtet, obwohl sie nirgends welche entdecken konnte.
Neugierig sah sie sich in dem verstaubten Raum um. Fußabdrücke auf den alten Dielen zeugten davon, dass vor kurzem Leute hier gewesen waren. Am dachte an Biancas entsetztes Gesicht, als sie die Botschaft gefunden hatte. Ihr Blick war so voller Furcht gewesen, dass es Amalia noch immer kalt den Rücken hinablief.
Sie musste etwas tun, um ihre Freundinnen vor dem Geist zu beschützen. Was hatte er bloß gemeint, als er sie „Hexenpack“ nannte? Konnte auch das ein Geheimnis sein, das Eleonora so viele Jahre lang gehütet hatte?
Nun, ihre Großmutter war nicht da und konnte es ihr nicht sagen. Aber dafür waren ja diese Räume hier unten da. Es gab Bücher und anderes verstaubtes Zeug. Vielleicht fand Am ja dort einen Hinweis auf ihre Fragen.
Langsam näherte sie sich dem hohen Bücherregal, ihr Herz klopfte vor Aufregung so laut wie eine Trommel. Fast hatte sie Angst, sie könnte ihre Mutter wecken, doch wenn Marcella einmal schlief, wurde sie so schnell nicht wieder wach.
Amalias Hand zitterte, als sie sie ausstreckte, um eines der Bücher herauszuziehen. Mit vor Neugier großen Augen öffnete sie es irgendwo und erwartete Texte und Bilder, so wie sie es in ihrem Traum gesehen hatte. Die Seiten jedoch blieben leer.
Enttäuscht schob sie den Wälzer zurück an seinen Platz und ließ ihren Blick schweifen. Der Schreibtisch zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Er stand der Treppe gegenüber, war groß und breit, wie man ihn aus alten Filmen kannte. Ganz anders als die baufälligen Dinger aus dem Möbelhaus.
Konnte es sein, dass sie dort etwas fand, das sie lesen konnte? Einen Versuch war es wert. Was hatte Am schon zu verlieren?

Seufzend ließ sie sich auf den gepolsterten Stuhl hinter dem Tisch sinken und betrachtete die Zettel und Schriftrollen, die unter einer dichten Staubschicht begraben lagen. Egal, was sie auch anschaute, nichts davon war beschrieben.
Verzweifelt donnerte sie ein dünnes Heft in irgendeine Ecke des Raums und knallte die Faust auf den Tisch. Statt glattes Holz und Staub zu spüren, schien etwas in die Platte eingraviert worden zu sein. Wie vom Blitz getroffen pustete Am die dicke Schicht weg, wodurch eine eher schlichte Schnitzerei zum Vorschein kam. Es war ein Pentagramm, die Spitze zeigte direkt auf die Treppe. Vorsichtig fuhr sie die Linien nach. Sie musste es tun, es war wie ein innerer Zwang. Irgendetwas sagte ihr, es wäre wichtig.
Tatsächlich schien diese Berührung einen Mechanismus auszulösen. Im Inneren des Tisches begann es zu rattern und zu ticken und plötzlich sprang ein Teil der Tischplatte nach oben.
Darunter befand sich ein Geheimfach, in dem lediglich ein einziges Buch lag. Es war nicht gerade dick, aber immerhin schien es von großer Bedeutung zu sein. Warum versteckte es sonst jemand in diesem Schreibtisch?
Gebannt schlug sie die erste Seite auf. Sie war leer. Fast schon enttäuscht blätterte sie weiter und fiel beinahe vom Stuhl, als dort tatsächlich Buchstaben zu finden waren. Sie waren denen aus dem Buch, das sie unten im Saal gefunden hatte, sehr ähnlich, jedoch leserlicher und feiner geschrieben.
Es schien eine Art Tagebuch zu sein, der Name Lucius Altenberg prangte auf der ersten beschriebenen Seite.
Als sie weiterblätterte, musste Am jedoch feststellen, dass es ein Brief war. Ihr Großvater richtete das Wort an „seine geliebten Nachkommen“. Neugierig begann Am zu lesen und vergaß, dass es tiefste Nacht war und dass sie besser hätte schlafen sollen. Lucius' Worte bannten sie so sehr, dass sie einfach nicht aufhören konnte.

Er sprach von Magie, echter Magie. Er schien vollkommen davon überzeugt zu sein. Die Art und Weise, wie er davon erzählte, erinnerte Am ein wenig an das, was sie über ihren Onkel Ezra wusste. Wie alt mochte er wohl gewesen sein, als sein Vater starb? Konnte er sich noch an etwas erinnern, das Lucius ihm mal erzählt hatte? Vielleicht war das ja die Erklärung für seine verrückte Art. Vielleicht wusste er mehr von seinem Vater, als er dachte.
Bei diesem Gedanken musste Amalia unweigerlich lächeln. Sie sah ihren Großvater vor sich, wie er im Wohnzimmer auf einem der großen Sessel saß mit Ezra auf dem Schoß und ihm von seinen Abenteuern berichtete.
Schnell schüttelte Am diesen Gedanken beiseite und widmete sich wieder Lucius' Buch. Warum sie es lesen konnte und die anderen in den Regalen nicht, war ihr ein Rätsel. Aber da sie nun wusste, dass die Altenbergs etwas mit Magie zu schaffen hatten, vermutete sie eine Art Zauber dahinter. Es war verrückt, etwas Derartiges zu denken. Lucius' Worte hatten jedoch etwas so Überzeugendes an sich, dass Amalia tatsächlich anfing an Übernatürliches zu glauben. Spätestens seit der missglückten Geisterbeschwörung war sie aufnahmebereiter für solcherlei Dinge.
Die Zeit verging, während Amalia immer tiefer in die Geschichten und Erlebnisse ihres Großvaters, ihrer ganzen Familie eintauchte. Noch nie hatte sie etwas Spannenderes gelesen.

Ein lauter Schrei weckte sie am nächsten Morgen. Irgendwann musste die Müdigkeit in der Nacht über sie gekommen sein. Erschrocken hob sie den Kopf und musste wegen des aufgewirbelten Staubs husten. Vorsichtig klappte sie das Buch zu und versteckte es in dem Geheimfach, ehe sie nach oben rannte, um zu sehen, was dort vor sich ging. Marcella stand im Schlafanzug vor der geöffneten Haustür und starrte auf etwas zu ihren Füßen.
Damit sie sich nicht erschreckte, rief Amalia ihren Namen, doch ihre Mutter reagierte nicht auf sie. Panik keimte in Am auf, als sie näher an Marcella heranschlich. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um zu sehen, was dort unten auf dem Fußabstreifer lag. Erschrocken sog Amalia die Luft ein und wich einen Schritt zurück. Vor ihnen lag eine unglaublich schöne, weiße Taube. Wäre sie nicht so reglos gewesen und ihr Hals nicht auf abstruse Art verdreht, hätte Am beinahe geglaubt, der Vogel würde noch leben.
Neben ihr fluchte Marcella wie wild, machte aber keine Anstalten, das leblose Tier wegzuräumen.
Als Amalia den Anblick nicht länger ertrug, entfernte sie den Arm ihrer Mutter vom Türrahmen, hob die Taube hoch und warf sie in die Mülltonne. Ein besserer Platz war ihr nicht eingefallen.
Kurz bevor sie wieder ins Haus trat, fiel ihr Blick auf etwas, das wohl unter dem Tier gelegen haben musste. Es war eine schwarze Feder, sicherlich von einem Raben. Sie ähnelte der ersten, die sie unter der Glasscheibe des Hexenbretts gefunden hatte.
   „Alles okay, Marcella. Es war bloß eine Taube. Sie ist vermutlich gegen die Tür geflogen und hat sich dabei das Genick gebrochen. Kein Grund, um auszurasten.“ Ihre Stimme hatte einen leicht panischen Unterton. Ihr Verstand hatte bereits eins und eins zusammengezählt und die Taube mit dem Geist in Verbindung gebracht.
Während Marcella beruhigt nickte und in die Küche tappte, ließ sich Am aufgewühlt auf die unterste Treppenstufe sinken. Die letzten beiden Tage hatte sie damit verbracht, über die Familiengeheimnisse der Altenbergs nachzudenken, und hatte damit den Geist und ihre Freundinnen beinahe vergessen.
Dieses mögliche Zeichen ihres unsichtbaren Feindes, holte sie wieder in die grausame Wirklichkeit zurück. Am kam nicht umhin sich zu fragen, ob der Geist ihr damit drohen wollte.
Was wollte er nur damit bezwecken? Angst hatte sie ja bereits. Wollte er sie damit in die Verzweiflung treiben?
Die tote Taube warf erneut eine Unmenge an Fragen auf, die Am ohne die Hilfe ihrer Großmutter nie beantworten konnte. Sie würde wohl oder übel bis zu Eleonoras Ankunft am Nachmittag warten müssen. Davor jedoch musste sie sich ihren Freundinnen in der Schule stellen.
Sollte sie ihnen von der Taube und den beiden Federn berichten? Und die Geheimnisse um ihre Familie? Würde es den drei Mädchen helfen, wenn sie wüssten, was mit Amalia und den restlichen Altenbergs nicht stimmte? Vermutlich nicht. Sie wären nur noch ängstlicher und würde sie wegen Letzterem für verrückt halten.
Am war sich ja selbst nicht sicher, ob sie den Geschichten ihres Großvaters glauben sollte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie würde den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. Seit sie in Würzburg lebte, glaubte sie in einen tiefen Abgrund zu fallen.


Wann würde sie aufschlagen? Würde sie überhaupt auf einen Grund treffen oder nur weiter hinabsinken?



Was denkt ihr? Wie hat es euch gefallen? Und wie feiert ihr Weihnachten dieses Jahr? Ich wünsche euch morgen einen guten Start in die Woche und hoffe, dass euer Weihnachten auch so toll wird wie meins. 
Nächstes Kapitel, wie immer, nächsten Sonntag oder etwas früher auf...




Bis zum nächsten Mal!
Eure Kate



      





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