Sonntag, 1. November 2015

Geisterstunde [Teil 03] Kapitel 2



Hallo ihr Lieben!
Heute startet offiziell die nächste Runde NaNoWriMo. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schaffe, die 50.ooo Wortmarke zu knacken, aber versuchen werde ich es auf jeden Fall. Näheres dazu dann am Mittwoch in einem kleinen Post. Heute gibt es, wie gewohnt, ein neues Kapitel von GEISTERSTUNDE. Lob, Kritik und Anregungen sind immer gern gesehen. Die Geschichte findet ihr auch auf...

Nach der Scheidung ihrer Eltern zieht Amalia Altenberg mit ihrer Mutter in deren Geburtsort Würzburg. Im Haus ihrer Großmutter scheint es lange gehütete Geheimnisse zu geben. Flüsternde Stimmen halten Am nachts wach und verfolgen sie sogar in ihren Träumen. Als sie bei einer Übernachtungsparty mit ihren neuen Freundinnen die verschlossene Tür im Hausgang öffnet, stößt sie auf eine völlig andere Welt. Bei einer harmlosen Partie mit dem Hexenbrett rufen die vier Freundinnen versehentlich einen rachsüchtigen Geist, der offenbar noch eine Rechnung mit der Familie Altenberg zu begleichen hat. Kann Amalia mit ihrem begrenzten Wissen über Magie den Geist vertreiben? Und welche Geheimnisse hütet ihre Großmutter noch?




Vom Esszimmer drangen bereits die lauten Stimmen ihrer Mutter und Großmutter an Amalias Ohr. Doch etwas Anderes, sehr Leises und Bedrohliches mischte sich unter die Fetzen des heiteren Gesprächs. Es war das Wispern, das sie nun schon mehrere Male gehört hatte. Und wie konnte es anders sein, es kam von der verschlossenen Tür.
Entschlossen trat sie vor das dunkle Holz und rüttelte an der Klinke. Nichts rührte sich, nur ihre Hände waren wieder schwarz vom Metall des Griffs. Genervt mit den Augen rollend, ignorierte sie die unbekannten Stimmen und marschierte geradewegs ins Esszimmer.
Marcella und Eleonora saßen beide über ihre Zeitungen gebeugt, die Kaffeetasse in der einen, ein halbes Hörnchen in der anderen. An einem dritten Platz stand bereits eine Tasse mit heißem Tee und ein Teller mit Ams Lieblingsgebäck. Apfeltaschen. Begeistert stürzte sie sich auf das Frühstück und schreckte dabei ihre Mutter aus deren Gedanken hoch.
   „Ah, Am. Wir dachten schon, du hättest verschlafen. Bereit für die Schule?“ Ein breites Lächeln zierte ihre dunkelroten Lippen, doch an den Augen konnte Amalia sehen, dass Marcella alles andere als glücklich war. Aufregung und Anspannung vermischten sich und ließen die Pupillen trüb erscheinen.
   „Ja, hab heute irgendwie schlecht geschlafen. Deswegen hat es so lange gedauert. Bleib mir bloß weg mit der Schule! Wie komme ich da eigentlich hin?“ Fragend blickte sie zwischen den beiden Frauen hin und her. Eleonora zuckte lediglich mit den Schultern, während deren Tochter angestrengt nachdachte.
   „Also, wenn wir uns beeilen, dann kann ich dich heute fahren. Aber wie kommst du dann wieder heim? Selbst wenn du mit dem Bus fahren würdest, wärst du ganz schön lange unterwegs. Du müsstest den ganzen Berg hoch laufen … Kannst du sie nicht holen, Eleonora?“ Ein flehender Ausdruck erschien auf den Zügen Marcellas, vermutlich weil sie wusste, wie anstrengen dieser steile Weg war. Achselzuckend stimmte die Ältere der beiden zu.
   „Ich bin sowieso in der Stadt wegen Nachforschungen zu meinem neuen Buch. Ich hol dich dann nach der Schule ab. Du hast heute vier Stunden, richtig?“ Marcella nickte ihrer Mutter bestätigend zu und Am war erleichtert, nicht laufen zu müssen. Zwar hatte sie keine Ahnung, wie tief sie tatsächlich in diesem Wald waren, aber die hohen Bäume jagten ihr irgendwie Angst ein.
   „Tja, jetzt wo das geklärt ist, müssen wir langsam los. Amalia, hast du deine Sachen schon gepackt?“ Marcella erhob sich von ihrem Stuhl, kippte hastig den letzten Schluck Kaffee herunter und war im nächsten Moment schon im Gang verschwunden. Sie schien das seltsame Wispern nicht wahrnehmen zu können. Ob das an ihrer Unempfänglichkeit für übernatürliche Mächte lag? Waren diese flüsternden Stimmen wirklich nicht normalen Ursprungs?
Seufzend schob Am diese Gedanken beiseite, um einen klaren Kopf für die Schule zu bekommen, aber spätestens auf dem Gang ertönte das Wispern erneut.

   Amalia! Amalia, geh nicht! Amalia, lass uns spielen! Amalia!

Es kostete sie all ihre Kraft, nicht laut loszuschreien. Diese ganze Geschichte trieb sie noch in den Wahnsinn. Was stimmte bloß nicht mit ihr?
Amalia hatte keine Chance, weiter darüber nachzudenken, da ihre Mutter bereits den Motor des alten Golfs angelassen hatte und ungeduldig hupte. Das war normalerweise nicht ihre Art, aber an ihrem ersten Arbeitstag in der neuen Klinik war sie sicher sehr aufgeregt. Hastig rannte Am zur Tür hinaus und hätte beinahe ihre Tasche vergessen, die am Treppenpfosten hing.
Im Auto herrschte eisiges Schweigen. Man sah Marcella deutlich an, dass sie kurz davor war, eine Panikattacke zu bekommen. Schon lange hatte Amalia sie nicht mehr so aufgeregt erlebt. Das letzte Mal vermutlich an ihrem ersten Schultag und der lag wirklich weit zurück.
Laut scheppernd holperte der Wagen über die unbefestigte Straße. Große Wurzeln machten das Vorankommen noch schwieriger. Es dauerte wirklich sehr lange, ehe sie aus dem Dämmerlicht des Waldes auf eine halbwegs passable Straße bogen. Am fragte sich, wie es ihre Vorfahren geschafft hatten, so abgeschieden von der Welt leben zu können. Zu Fuß dauerte der Weg zum Haus sicherlich noch viel länger.

Während ihre Mutter noch um Fassung zu kämpfen schien, sah Amalia aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft. Sie befanden sich in einem langgezogenen Tal, das von dichten Wäldern umfasst wurde. Zu ihrer Rechten, schien ein Bach zu verlaufen. Er führte jedoch kein Wasser, wie sie von ihrer Position aus feststellen konnte. Die Häuser klammerten sich an die steilen Hänge und schienen beinahe über dem Talgrund zu schweben. An den Bushaltestellen, die sie passierten, standen bereits viele Leute, hauptsächlich Schüler.
   Gehen da vielleicht welche auf meine Schule, fragte sie sich plötzlich. Der Gedanke, jemanden aus der Gegend zu kennen, gefiel ihr irgendwie. In Berlin hatte sie alle ihre Mitschüler in unmittelbarer Nähe gehabt, aber hier in Bayern schien sich das wohl ein wenig zu ziehen.
Eine ganze Weile folgten sie der Straße, die sich durch das immer breiter werdende Tal schlängelte, ehe sie auf eine stark befahrene Bundesstraße bogen. Amalia bewunderte ihre Mutter, wie sie nach all den Jahren in Berlin noch immer wusste, wo sie lang fahren musste.
Mit jedem Meter, den sie weiterkamen, wuchs in Am die Angst vor der neuen Schule. Um sich zu beruhigen schloss sie die Augen und atmete so langsam wie möglich. Fast war es ihr, als wäre sie eingeschlafen. Keine Minute später schüttelte Marcella sie, woraufhin ihre Tochter gähnend die Augen öffnete.
   „Hey, du Schlafmütze! Wir  sind da. Das Leonardo-da-Vinci-Gymnasium zu Ihrer Linken!“ Mit einem breiten Grinsen deutete ihre Mutter nach draußen und lenkte somit Ams Blick auf einen gepflegten kleinen Hof und ein ziemlich großes Gebäude dahinter.
   „Hast du auch deine Zettel und den Plan, den ich dir gegeben habe?“ Auf diese Frage hin zog Amalia ein paar Bögen Papier aus ihrer Tasche und wedelte damit vor Marcellas Nase herum.
   „Alles hier, Mama. Mach dir keine Sorgen, okay? Ich werde schon meine Klasse finden.“ Marcella nickte lachend und schien ihre Panik vor der neuen Arbeitsstelle vergessen zu haben. Amalia dagegen konnte ihre Angst vor den Mitschülern und Lehrern nicht ablegen.
Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals und erschwerte ihr das Schlucken, als sie ihre Mutter zum Abschied umarmte und anschließend aus dem Golf stieg. Die wenigen Schüler, die sich auf dem Hof befanden, sahen ihr mit neugierigen Blicken nach, während sie die Tür zum Schulhaus aufdrückte und im Inneren verschwand. Vermutlich gab es nicht allzu viele neue Schüler an diesem Gymnasium. Es musste sich noch einen Ruf erarbeiten, nachdem es erst vor drei Jahren geöffnet worden war.

Drinnen war es angenehm kühl. Ein kleiner Brunnen plätscherte in der Mitte der Aula und in einer der Ecken brummte ein Getränkeautomat vor sich hin. Zweifelnd, ob sie sich zurechtfinden würde, betrachtete Am den Plan und folgte dem beschriebenen Weg zum Sekretariat. Auf der Treppe zum ersten Stock, kam ihr niemand entgegen und fast wirkte es, als wäre das Gebäude menschenleer. Es war irgendwie unheimlich, aber nicht so schlimm wie diese Stimmen von der anderen Seite der verschlossenen Tür in Eleonoras Haus.
Um keinen weiteren Gedanken mehr an diese beunruhigende Begebenheit zu verschwenden, nahm sich Amalia vor, ihre Großmutter danach zu fragen. Diese musste doch wissen, was da vor sich ging.
Vor der Tür zu den Verwaltungsräumen hielt sie kurz inne und atmete ein paar Mal tief durch. Es half nichts, ihr Herz schlug nur umso schneller. Mit zitternden Händen klopfte sie an und drückte dann die Klinke herunter. Im Sekretariat herrschte bereits buntes Treiben. Zwei Telefone klingelten, es wurde kopiert und am Computer getippt. Amalia wartete eine ganze Weile an der schmalen Theke, ehe eine der beiden Frauen aufblickte und ihr bedeutete, sie sei gleich für sie da. Weitere Minuten verstrichen, es war schon kurz vor acht, als sich die Sekretärin endlich erhob und mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen auf sie zukam.
   „Guten Morgen, Liebes. Amalia Altenberg, richtig?“ Ihre Stimme war sehr freundlich, weswegen sich Am sofort ein wenig entspannte und ihr zunickte. Offenbar gab es tatsächlich nicht viele neue Schüler.
   „Alles klar, dann wollen wir mal. Ich bringe dich zu deiner Klasse. Komm einfach mit, ich beiße auch nicht.“ Sie kicherte und trat um den Tresen herum. So konnte Am auch lesen, was auf ihrem Namensschild stand. Brigitte Holze. Das klang für Am eigentlich ganz nett, sofern man Menschen nach ihren Namen beurteilen konnte.
Frau Holze winkte ihrer Kollegin zu und schob Amalia dann hinaus auf den Gang.
   „Keine Sorge, Amalia, deine Klasse ist ganz okay. Die sind sicher schon gespannt auf dich, vor allem wenn sie gehört haben, dass du aus Berlin kommst. Gerüchte verbreiten sich an dieser Schule ziemlich schnell. Kein Wunder, schließlich gibt es nur ganz wenig Schüler.“ Auf dem Weg zum Zimmer der elften Klasse, es gab nur eine einzige, erzählte ihr die Sekretärin mehr über die Schule und deren Besonderheiten. Man versuchte zum Beispiel die Schüler in ihren Stärken zu fördern, indem man verschiedene Kurse anbot. Alles in allem hörte sich das System des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums sehr vielversprechend an.
   „Also gut, da wären wir“, sagte Frau Holze, als sie vor einer der Türen hielt. „Deine Bücher bekommst du in der Pause, da bringe ich sie dir vorbei. Ich wünsche dir viel Spaß, Amalia!“ Mit diesen Worten öffnete sie die Tür und schubste sie regelrecht hinein in ihre neue Klasse.
Schlagartig verstummten alle Gespräche. Zwanzig Köpfe drehten sich ruckartig in ihre Richtung. Das Geräusch der zufallenden Tür hörte sich endgültig an, als gäbe es kein Zurück mehr.
Gierig sog Amalia die Luft ein und bereitete sich mental auf die Reaktionen ihrer Mitschüler vor. Eine qualvolle Minute herrschte peinliches Schweigen. Dann jedoch sprang eines der Mädchen von ihrem Platz auf und kam auf Am zu.
   „Hey, du bist die Neue, richtig? Ich bin Mia. Willkommen in unserer Klasse!“ Kichernd schloss Mia sie in die Arme, woraufhin Amalia versuchte einen Schritt zurück zu weichen. Mit einer solchen Begrüßung hatte sie nicht gerechnet.
   „Keine Angst, ich beiße nicht. Und die anderen sind auch alle ganz nett“, flüsterte das Mädchen in ihr Ohr, sodass die Umstehenden es nicht hören konnten. Ein wenig verwirrt über diese herzliche Begrüßung und Mias Worte nickte sie zaghaft. Durch die dichte rote Lockenpracht ihrer Mitschülerin konnte sie sehen, wie zwei weitere Mädchen auf sie zukamen. Sie lächelten ebenfalls herzlich und fielen ihr, wie zuvor Mia, um den Hals.
   „Hey, ich bin Elena und das ist Bianca. Schön, dass du da bist,“ sagte das Mädchen mit den kurzen braunen Haaren. Sie hatte einen leichten Akzent. Italienisch vielleicht oder Spanisch. Elena deutete auf das blonde Mädchen neben ihr.
   „Wow, also damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ist das immer so bei euch?“ Noch immer leicht verlegen blickte Amalia sich im Klassenzimmer um und wurde sich bewusst, dass alle sie weiterhin anstarrten.
   „Keine Ahnung … Du bist unsere erste Neue, seit wir auf dieser Schule sind. Außerdem sind wir alle so gut befreundet … Keine Ahnung, es hat sich halt so ergeben.“ Mit einem breiten Grinsen tätschelte Mia ihr die Schulter und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Auch Elena und Bianca kehrten auf ihre Plätze zurück. Als Amalia so verloren vor der Klasse stand und nicht wusste, wohin sie sich setzen sollte, winkten die Drei sie kurzerhand zu sich. Neben ihnen war noch ein Sitzplatz frei, den Am dankbar in Beschlag nahm.
   „Okay, da ich noch keine Gelegenheit dazu hatte, stelle ich mich einfach jetzt vor. Ich bin Amalia Altenberg und komme aus Berlin, falls dieses Gerücht noch nicht die Runde gemacht hat.“ Am war sich nicht genau sicher, was sie zu den anderen sagen sollte. Fast war sie versucht, ihnen die Hand zu geben, hielt das dann aber doch für keine gute Idee.
   „Wissen wir schon. Aber eine Sache interessiert mich da noch … Wieso zur Hölle ziehst du nach Würzburg? Im Vergleich zu Berlin ist es vielleicht ein größeres Kuhkaff.“ Kopfschüttelnd musterte Bianca ihre neue Mitschülerin und wartete auf eine Antwort. Eigentlich hatte sich Amalia eine Geschichte überlegt, die sie erzählen wollte. Sie hörte sich besser an, als die Wahrheit, aber es erschien ihr einfach nicht richtig.
Die Mädchen waren nett zu ihr gewesen, zumindest bisher. Da sollte auch sie nett zu ihnen sein. Seufzend lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und richtete ihren Blick in die Ferne.
   „Meine Eltern haben sich vor kurzem getrennt und meine Mutter brauchte ein bisschen Abstand. Also sind wir zu meiner Großmutter gezogen und die wohnt eben hier in Würzburg.“ Während sich die anderen wieder ihren Gesprächen gewidmet hatten, musterten die drei Mädchen sie mit mitfühlenden Blicken. Solche Blicke war Am bereits gewöhnt. Auch in Berlin hatten sie ein paar ihrer Mitschüler, aus gutem Hause wohlgemerkt, so angesehen. Jedoch hatte es damals den Anschein gehabt, als wäre das bloß gespielt gewesen.
   „Und dein Vater? War der damit einverstanden? Einfach so?“ Mia klang ungläubig, aber sie schien zu versuchen, das zu verstehen. Den anderen beiden ging es wohl genauso. Neugier mischte sich mit dem Mitgefühl.
   „Ja, mehr oder weniger. Alex und Mama waren sowieso mehr beste Freunde als irgendwie zusammen. Ich glaube, sie sind nur zusammengeblieben, weil sie mir nicht wehtun wollten.“ Mit diesem einfachen Satz sprach Amalia aus, was sie insgeheim schon seit langer Zeit dachte. Wäre Marcella nach ihrer ersten Begegnung mit Alexander nicht schwanger geworden, hätten sie sich vermutlich nie wieder gesehen.
   „Oh, okay … Vermisst du ihn sehr?“ Elena, die Am am nächsten saß, legte dieser behutsam einen Arm um die Schulter und drückte sie leicht an sich, als wollte sie sie trösten.
   „Irgendwie schon, aber in Berlin hab ich ihn auch nicht so oft gesehen wegen seiner Arbeit uns so. Und dann hat er ja noch-“, eigentlich wollte sie von der Band ihres Vaters erzählen, als die Tür aufgerissen wurde und ein Mann mit lederner Aktentasche eintrat. Mittlerweile war es schon nach acht Uhr. Am musste den Gong überhört haben.
   „Guten Morgen, Leute! Sorry, dass ich zu spät bin, aber ich wurde noch aufgehalten.“ Entschuldigend blickte er in die Runde. Für einen kurzen Moment streifte sein Blick über Amalias Gesicht und verwandelte sich in Verwunderung. Dann nickte er jedoch, vermutlich weil ihm einfiel, dass sie seine neue Schülerin war.
   „Ach ja, dann bist du sicherlich Amalia Altenberg. Immer wieder schön, ein neues Gesicht bei uns zu sehen.“ Er lachte, als hätte er einen wirklich lustigen Witz gemacht, doch niemand stieg darauf ein. „Wie dem auch sei, ich bin Lucas Schulz und dein Deutsch-, Geschichts- und Klassenlehrer. Ich schlage vor, du merkst dir meinen Namen besser. Wir haben dieses Jahr viele Stunden zusammen.“ Wieder lachte er, obwohl an der Situation überhaupt nichts komisch war. Ein paar der Jungs prusteten bei seinen Worten los, was Lucas Schulz wohl zu gefallen schien.
   „Wahrscheinlich denkt er, dass sie über seine Worte lachen, weil sie sie witzig fanden. Wenn du mich fragst hat er einen schrecklichen Humor“, antwortete Mia, als hätte sie Amalias Gedanken gelesen. Schmunzelnd nickte sie ihr zu und stimmte in das aufkommende Kichern ihrer Mitschülerinnen mit ein.

Auch wenn er gerade erst hereingekommen war, versprach Herr Schulz ein sehr interessanter Lehrer zu werden. Nur leider nicht so wie er es sich erhoffte.
Die nächsten beiden Stunden verliefen ziemlich normal. Es wurde viel Organisatorisches geklärt, der Stundenplan ausgeteilt und all solche Dinge. Normalerweise wäre das ziemlich langweilig geworden, hätte ihr Lehrer nicht krampfhaft versucht lustig zu sein. Eine willkommene Abwechslung zu ihrem Hasslehrer aus Berlin. Aber Berlin war Vergangenheit. Was wirklich zählte, war ihr Leben hier in Würzburg und das sah momentan relativ gut aus. Von dem Wispern jenseits der verschlossenen Tür mal abgesehen.
Nach der Pause, die sie zusammen mit Mia, Elena und Bianca auf dem kleinen Innenhof verbrachte, hatten sie zunächst Chemie und dann Englisch. Wie immer am Schuljahresanfang wurde die Klasse über die Notengebung und die Anzahl der Tests aufgeklärt, ehe die benötigten Unterrichtsmaterialien aufgezählt wurden. Bevor sie sich versah, klingelte es zum Unterrichtsende. Um ihre Großmutter nicht lange warten zu lassen, verabschiedete Amalia sich schnell von den drei Mädchen, tauschte mit ihnen Handynummern und versprach, sie auf Facebook als Freunde hinzuzufügen.
Eleonora stand tatsächlich schon draußen. Mitten auf der Straße hatte sie angehalten und stritt sich lebhaft mit den Autofahrern hinter ihr, die wegen des Gegenverkehrs nicht überholen konnten. Als sie Am sah, hockte sie sich wieder auf ihren Sitz und schenkte ihrer Enkelin ein strahlendes Lächeln. Dem Fahrer dagegen zeigte sie durch das geöffnete Fenster den Mittelfinger und trat dann so abrupt auf Gas, dass Am ohne Vorwarnung in den Sitz gedrückt wurde. Elena, die vor der Schule auf jemanden zu warten schien, winkte ihr lächelnd hinterher.
   „Na, Amalia, wie war dein Tag? Ist das Mädchen da in deiner Klasse?“ Es klang tatsächlich so, als würde es ihre Großmutter interessieren, wie es ihr ergangen war. Sie war so anders, als sich Am vorgestellt hatte. Wenn sie an Eleonora gedacht hatte, hatte sie immer die Schilderungen ihrer Mitschüler über deren Omas und Opas im Hinterkopf gehabt. Aber nicht jeder Mensch gleicht dem anderen, oder?
   „Ich glaube, es war richtig gut. Die sind alle nett und auch die Lehrer scheinen okay zu sein. Und ja, das Mädchen ist in meiner Klasse. Sie heißt Elena. Mit ihr verstehe ich mich echt gut.“ Während sie sprach, wurde ihr Lächeln immer breiter, bis sie dachte, sie würde ihren Kiefer ausrenken. Warum sie so glücklich war, wusste Am nicht genau. Vermutlich weil in Würzburg bisher alles besser lief, als sie gedacht hatte und weil sie endlich das Gefühl hatte, sie selbst sein zu können. Selbst wenn das hieß, ein wenig verrückt zu sein. Die Mädels schienen jedenfalls Amalia und ihre Eigenarten zu mögen. Das war ein gutes Zeichen, denn sie hatte heute mehr mit ihnen geredet, als sie mit anderen Mitschülern mehrere Jahre lang gesprochen hatte.


Alles in allem ein guter Start in den Tag.


Herzlichen Glückwunsch, du bist am Ende des Kapitels angelangt! GEISTERSTUNDE ist wesentlich länger als NUR EIN EINZIGES WORT VON DIR. Updates gibt es wie immer hier (sonntags) oder auch schon früher auf...




Ich freue mich auf eure Meinung und wünsche euch bis zum nächsten Mal ganz viel Lesefreude!
Eure Kate

   



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen