Sonntag, 23. August 2015

Nur ein einziges Wort von dir... [Teil 5] Tom


Hallo ihr Lieben!
Na, wie war die letzte Woche bei euch? Bei mir wird es jetzt wegen meinem Umzug ziemlich stressig, aber mit Blogposts habe ich ja glücklicherweise vorgesorgt :)
Schaut doch mal auf meiner INSTAGRAM-SEITE vorbei, da poste ich kleine Zitate aus diesem Buchprojekt hier. Vielleicht ist ja eines von euren Lieblingen dabei.
Jills Leben ist überschattet von Angst und Einsamkeit. Seit dem Verschwinden ihrer Eltern verfolgt sie eine dunkle Alptraumgestalt, die ihr verbietet über die damaligen Ereignisse zu sprechen. Ihr einziger Vertrauter ist eine alte Weide, der sie in Briefen ihre dunkelsten Geheimnisse verrät. Dies ändert sich allerdings, als Tom, ihr Mitschüler, in ihr Leben tritt. Etwas an Jill fasziniert ihn so sehr, dass er nicht locker lässt, bis er schließlich erfährt, was in jener schicksalshaften Nacht vor so vielen Jahren passiert ist. Und auch Jill fühlt sich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich sicher in seiner Gegenwart, doch der Schattenmann aus ihrer Vergangenheit kennt keine Gnade.





Ich saß draußen auf den breiten Stufen vor der Schule, als es klingelte. Frau Norden hatte ihre Stunde früher beendet, da es ihr nicht gut ging. So hatte ich etwas mehr Zeit, um über dieses seltsame Mädchen nachzudenken. Egal was ich auch tat, sie ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Ob sie wirklich Halsschmerzen hatte?
Ich wollte mehr über sie erfahren, doch hatte ich keine Ahnung, wie ich an sie herankommen sollte. Meine Freunde halten sie für einen hoffnungslosen Fall. Ich glaube, die Jungs denken, sie wäre ein Freak, weil sie bis heute mit keinem geredet hat.
Und dieser seltsame Brief? Was steht da bloß drin?
Keiner der Lehrer hat sie bisher aufgerufen, sie wurde bloß an die Tafel geholt, um eine Aufgabe zu lösen oder etwas zu beschriften. Ansonsten haben sie nichts von ihr verlangt. Vielleicht ist sie ja doch stumm...
Dieser Gedanke beunruhigte mich. Die Vorstellung mit jemandem in einem Kurs zu sein, der nicht sprechen konnte, erschien mir irgendwie gespenstisch. Aber dann hätte sie doch was gesagt oder geschrieben. Steht das vielleicht in dem Brief? Du meine Güte, ich sollte wirklich aufhören, mir solche Sorgen zu machen. Bestimmt hat sie bloß eine Erkältung und darf deswegen nicht sprechen, oder ihr wurden die Mandeln entfernt. Was auch immer, ich muss aufhören, darüber nachzudenken!

Ich schloss die Augen, um meinen Kopf frei zu bekommen, und genoss die Sonnenstrahlen, die mein Gesicht wärmten, auch wenn es eigentlich schon sehr kalt war für den Herbst. Aber genau das mochte ich an dieser Jahreszeit. Es war nicht zu heiß, aber auch nicht zu kalt. Wie im Frühling eben, nur dass die Pflanzen abstarben, anstatt zu blühen und zu wachsen. Manche Leute sollten den Herbst gerade deswegen hassen, weil alles starb. Ich fand, dass der Tod nötig war. Ohne ihn könnte man nicht leben.
Als der Gong aus den Lautsprechern hinter mir ertönte, zuckte ich zusammen. Ich fragte mich, warum ich die ganze Zeit hier geblieben war, wenn ich doch auch nachhause hätte gehen können. Offenbar wollte mein Unterbewusstsein, oder wie auch immer man das nannte, etwas anderes. Und als die Tür aufflog und die ersten Schüler die Treppen herunter stürmten, wusste ich auch, was es wollte.
Jill.
Verängstigt, beinahe panisch hastete sie davon, wohin sie ging, wusste ich nicht, doch irgendetwas sagte mir, dass ich ihr folgen musste. Dieses Mädchen wurde von Geheimnissen umhüllt, wie andere von Mänteln aus Pelz. Wenn ich ihr folgen würde, könnte ich sicherlich etwas mehr über sie herausfinden. Vielleicht wusste ich ja dann, wo sie wohnt. Ich könnte irgendwann mal vorbeischauen und sie fragen, ob sie mir bei Mathe helfen könnte. Da schien sie ja eine echte Leuchte zu sein. Ich frage mich, ob vielleicht ihre Eltern etwas in dieser Richtung machen. Vielleicht sind die ja berühmte Wissenschaftler, oder aber ganz normale Menschen.
Manchmal neigte ich, meiner Meinung nach, zu einem Überhang an Fantasie. Irgendwann wird mir das sicherlich noch zum Verhängnis werden, möglicherweise sogar noch heute. Ich verfolgte schließlich ein unschuldiges Mädchen. Das war zumindest die eine Definition für das, was meine Beine, mein ganzer Körper gerade tat, ohne dass ich es wirklich wollte. Eine andere wäre, zu sagen, dass ich ganz einfach in dieselbe Richtung wollte. Ich sollte besser aufpassen, dass man mich nicht erwischte, sonst könnte die ganze Sache hier trotz meiner Definitionen sehr schwierig werden.

Statt in irgendeinen Bus zu steigen, hielt sie auf den Stadtpark zu. Offenbar wohnte sie hier ganz in der Nähe. Ich achtete darauf, nicht allzu sehr so zu wirken, als würde ich Jill gerade nachspionieren. Doch die Leute um uns herum schienen nicht auf uns zu achten. Im Park war es plötzlich viel stiller, fast so als ob die Bäume den Stadtlärm schlucken würden. Das Mädchen folgte zielsicher den ausgetretenen Kieswegen, achtete kaum auf die anderen Passanten.
An einer Bank, die teilweise von hohen Sträuchern verdeckt wurde, blieb sie stehen und setzte sich. Verwundert hielt ich inne und suchte mir ein sicheres Versteck, um besser sehen zu können, was sie hier tat. Jill zog einen Block hervor und begann darauf zu schreiben. Lange tänzelte der Stift über das Blatt, beschrieb Seite um Seite. Ich war schon am Überlegen, ob ich aufgeben und gehen sollte, als sie endlich das Geschriebene mit einem entschlossenen Nicken betrachtete und aufstand. Vielleicht war sie ja Hobbyschriftstellerin oder etwas in der Art...
Als ich dachte, sie würde endlich nachhause gehen, bog sie plötzlich von den Schotterwegen ab hinein in unübersichtliches Dickicht. Mein Leben lang wohnte ich schon in dieser Stadt und echte Natur hatte ich kaum gesehen, weswegen es mir zunächst schwer fiel, die Trampelpfade, die sie nutzte, zu sehen.
So leise wie möglich folgte ich ihr, natürlich mit einigem Abstand, schließlich wollte ich es nicht riskieren, von ihr entdeckt zu werden. Vor einem alten Baum mit langen hängenden Ästen, blieb sie stehen. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber irgendetwas sagte mir, dass sie sich freute, an diesem seltsamen Ort zu sein. Sie ging näher heran und kniete sich schließlich vor den dicken Stamm. Was sie dort tat, konnte ich nicht erkennen, also schlich ich so leise wie es mir möglich war, an ihr vorbei, um besser beobachten zu können.
Mein Herz klopfte vor Aufregung. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie dort tat. Vielleicht irgendein magisches Ritual? Solche Leute sollte es ja geben... Oder sie betete dort zu irgendeinem Gott, den ich nicht kannte. Ich war so auf Jill fixiert, dass ich den trockenen Ast vor mir auf dem Boden nicht bemerkte. Ein lautes Knacken ertönte, als ich darauf trat. Erschrocken fuhr sie herum. Als ich dachte, sie hätte mich gesehen, sprang sie auf, verwischte etwas auf dem Boden mit ihrer Schuhspitze und verschwand über denselben Weg, den wir gekommen waren. Erleichtert darüber, dass sie mich nicht entdeckt hatte, atmete ich auf und trat näher an den Baum heran. Mein Blick fiel auf die dicken Wurzeln, wo Jill sich offensichtlich zu schaffen gemacht hatte. Die Erde war aufgewühlt und unter ein paar Blättern war ein metallener Gegenstand zu sehen. Neugierig hockte ich mich auf den Waldboden, ohne mich um den Dreck zu scheren.

Mit akribischer Sorgfalt wischte ich die Erde und Blätter beiseite und schon bald hielt ich eine Kiste in der Hand. Die Farbe, die früher mal darauf gewesen sein musste, war an den meisten Stellen abgeblättert. Mit vor Aufregung rasendem Herzen klappte ich den Deckel hoch. Tausend Gedanken über den Inhalt schossen mir durch den Kopf, aber an das, was sich tatsächlich darin befand, hatte ich nicht gedacht.
Briefe, einen ganzen Haufen davon.

Verwundert sah ich mir den Adressaten an. Auf jedem einzelnen stand „Für meinen Baum, von Jill“ und das Datum, teilweise sogar die Uhrzeit, zu der die Dokumente verfasst wurden. Auch wenn es so etwas wie das Post- oder Briefgeheimnis gab, konnte ich einfach nicht anders. Ich öffnete den letzten geschriebenen von gerade eben, und war erstaunt, als ich merkte, dass er von mir handelte. Immer und immer wieder las ich den Brief, verwundert, erschrocken und zu tiefst bestürzt. Irgendetwas stimmte ganz gewaltig nicht bei Jill, das wurde mir beim Lesen klar. Ohne zu wissen, warum, wuchs in mir das Verlangen, dieses Geheimnis aufzudecken. Ich war mir sicher, dass ich noch mehr herausfinden würde, wenn ich weitere Briefe von ihr las. Ich musste bloß aufpassen, dass mich keiner erwischte. Vielleicht würde ich so auch herausfinden, warum sie nicht mit uns sprach.





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